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Im Zuge der Transformation hin zu einem klimaneutralen Energiesystem rücken molekulare Energieträger wie Wasserstoff und Biogas zunehmend in den Fokus. Sie gelten als flexible, speicherfähige und vielfach einsetzbare Bausteine. Besonders dort, wo Elektrifizierung an Grenzen stößt, können sie entscheidend sein. Rouven Kelling vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) ordnet ihre Rolle im Gesamtsystem ein und nennt Voraussetzungen für ihren Erfolg.

Welche strategische Bedeutung haben Wasserstoff und Biogas im zukünftigen Energiesystem, insbesondere in Hinblick auf Versorgungssicherheit, Sektorenkopplung und Systemstabilität?
„Wasserstoff und Biogas sind systemrelevant. Sie ermöglichen Dekarbonisierung, wo direkte Elektrifizierung wirtschaftlich oder technisch kaum realisierbar ist, zum Beispiel in Industrieprozessen, bei der saisonalen Energiespeicherung oder als Back-up für die Stromversorgung. Während Biogas bereits heute einen konkreten Beitrag leistet, etwa durch Einspeisung von Biomethan ins Gasnetz oder durch flexible Kraft-Wärme-Kopplung, steht Wasserstoff noch am Anfang des Markthochlaufs. Langfristig wird grüner Wasserstoff in der Industrie, im Schwerlastverkehr und perspektivisch auch in Teilen des Wärmesektors eine wichtige Rolle übernehmen. Entscheidend ist dabei, dass Infrastruktur, Herkunftsnachweise und technologieoffene Förderinstrumente rechtzeitig bereitstehen.“
Welche Rolle können Wasserstoff und Biogas im Gebäudesektor einnehmen, ergänzend zur aktuell im Fokus stehenden Wärmepumpe?
„Die Wärmepumpe ist im Neubau und bei gut gedämmten Gebäuden eine hervorragende Lösung. Aber nicht jedes Gebäude lässt sich wirtschaftlich sinnvoll auf elektrische Wärme umstellen. Gerade im Bestand, bei denkmalgeschützten Objekten oder in ländlichen Regionen können hybride Lösungen essenziell sein. H₂-ready-Heizgeräte oder mit Biomethan betriebene Anlagen können hier eine Brücke schlagen, vor allem in bereits erschlossenen Gasverteilnetzen. Diese Optionen sind technisch verfügbar und können dazu beitragen, den Gebäudebereich schneller zu dekarbonisieren, ohne dass umfangreiche bauliche Maßnahmen notwendig sind. Wichtig ist, dass gesetzliche Rahmen wie das Gebäudeenergiegesetz diese Vielfalt anerkennen.“
„Biogas ist eine wichtige Ergänzung im erneuerbaren Energiemix.“
Grüner Wasserstoff wird häufig als Schlüssel für die Dekarbonisierung der Industrie genannt. Welche Branchen profitieren besonders und was sind die zentralen Hürden auf dem Weg zur breiten Nutzung?
„Besonders energieintensive Branchen wie Stahl, Chemie, Zement oder Glas profitieren vom Einsatz grünen Wasserstoffs – also überall dort, wo hohe Temperaturen oder stoffliche Umwandlungsprozesse erforderlich sind. Allerdings bestehen noch viele Hürden: Es fehlt an ausreichender Wasserstoffproduktion, Transportinfrastruktur und an verlässlichen Rahmenbedingungen. Auch für den Mittelstand sind Investitionen in Wasserstofftechnologien heute kaum kalkulierbar. Notwendig sind deshalb ein stabiles Marktdesign, das Erzeugung und Verbrauch sinnvoll verbindet, klare Zertifizierungsstandards sowie gezielte Förderprogramme, die auch kleinere Unternehmen einbeziehen. Nur so kann eine Skalierung innerhalb der nächsten zehn Jahre realistisch gelingen.“
Welche Rolle kann Biogas künftig im Energiesystem spielen und wo liegen die größten Potenziale?
„Biogas ist eine wichtige Ergänzung im erneuerbaren Energiemix. Es ist speicherbar, flexibel einsetzbar und regional verfügbar und damit besonders geeignet für Zeiten mit wenig Wind und Sonne. Vor allem bei gesicherter Leistung und in der saisonalen Strom- und Wärmeerzeugung liegt großes Potenzial. Zukünftig sollte der Einsatz noch stärker flexibilitätsorientiert erfolgen. Dafür sind unter anderem gute Rahmenbedingungen für die Nutzung von Reststoffen entscheidend.“
Illustration: André Gottschalk, Foto: KI generiert